Forscher gehen davon aus, dass die Kapazität stationärer Energiespeicher in Deutschland bei bis zu 176 GWh (= 176.000.000 kWh) liegen könnte. Zum Vergleich: Ein Vier-Personen-Haushalt verbraucht im Jahr im Durchschnitt gut 4.000 kWh. Redox-Flow-Batterien (sogenannte Flussbatterien) eignen sich grundsätzlich gut für diese Aufgabe, da ihre Speicherkapazität unabhängig von ihrer elektrischen Leistung skaliert werden kann. Denn die beiden Elektrolyte für die negative und positive Elektrodenseite werden in separaten Tanks gelagert. Damit ist die Speicherkapazität im Prinzip nur durch die Größe der Tanks und die Menge der Elektrolyte limitiert.
Bisher setzt man als Elektrolyte in der Regel Verbindungen des Metalls Vanadium ein, die jedoch in den erforderlichen großen Mengen nicht zur Verfügung stehen, teuer und chemisch relativ instabil sind. Eine Alternative könnten Elektrolyte aus organischen Verbindungen sein, die sich aus Lignin gewinnen lassen. Lignin, das in Holz und allgemein in Pflanzen für Stabilität sorgt, fällt in der Zellstoff- und Papierproduktion weltweit im Millionen-Tonnen-Maßstab an und wird bisher hauptsächlich thermisch verwertet.
Im Verbundvorhaben "Neuartige Lignin-basierte Elektrolyte für den Einsatz in Redox-Flow-Batterien (FOREST)" forschen seit dem 01.02.2017 (Ende voraussichtlich 31.01.2019) die CMBlu Projekt AG, die Technische Hochschule Mittelhessen, die Johannes Gutenberg-Universität Mainz, die Justus-Liebig-Universität Gießen und die MANN + HUMMEL GmbH, wie sich kostengünstige und nachhaltige organische Elektrolyte aus Lignin für Redox-Flow-Batterien herstellen lassen.
Die Forscher wollen zwei geeignete Redox-Paare mit ausreichend verschiedenen elektrochemischen Potenzialen aus Ligninsulfonaten, die im Produktionsprozess als Nebenprodukt in der Ablauge des Zellstoffwerks anfallen, gewinnen. Diese Redox-Paare werden im Elektrolyt von Flussbatterien aufgeladen und dann getrennt in Tanks gespeichert. Bei Bedarf werden sie später in der galvanischen Zelle zur Energieerzeugung wieder zusammengeführt.
Die geplante Herstellungskette umfasst einen Filtrationsschritt zur Reinigung, eine elektrochemische und chemo-katalytische Lignin-Spaltung zu aromatischen Vorläuferverbindungen, die anschließend zu Chinonen umgesetzt werden. Eventuell ist noch eine chemische Modifikation der erhaltenen Chinone notwendig. Ligninsulfonat ist wasserlöslich, sodass alle Reaktionen in wässriger Lösung ablaufen können. Die Optimierung der Komponenten und der Zellaufbau der Redox-Flow-Batterie gehören ebenfalls zum Arbeitsumfang des Verbundvorhabens.
Die nicht zum Elektrolyt umgewandelten Bestandteile der Lignin-haltigen Ablauge sollen wieder in den Stoffkreislauf der Zellstofffabrik zurückgeführt werden, um weiterhin für die Energiegewinnung zur Verfügung zu stehen. Da Lignin ein pflanzlicher Rohstoff ist, verbrennt er weitgehend CO2-neutral. Auch die anorganischen Chemikalien wollen die Forscher zurückgewinnen, so dass die Prozesse der Zellstoffproduktion kaum beeinflusst werden.
Zur Aufreinigung des Rohstoffs werden an der Technischen Hochschule Mittelhessen Filtrationsmethoden etabliert. Für diese Filtrationsaufgabe werden bei Mann+Hummel spezielle Filtermembranen entwickelt. Das Filtrat wird durch die CMBlu Projekt AG zu den Zielmolekülen umgesetzt. Die Vorgabe für diese Zielmoleküle erfolgt durch die Untersuchung der Struktur-Eigenschafts-Beziehung in Zusammenarbeit durch die Arbeitsgruppen Wegner und Janek an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Außerdem werden an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz in der Arbeitsgruppe Waldvogel elektrochemische Umsetzungsmethoden untersucht.
Ist das Proof-of-Concept erfolgreich, wollen die Wissenschaftler in einem Folgeprojekt eine Pilotanlage mit einer Produktion von einem Kilogramm Chinonen pro Tag errichten. Bezüglich der Wirtschaftlichkeit ist das Forscher-Team optimistisch: Die International Energy Agency sieht den Durchbruch der Batteriespeicher-Technologie bei Kosten von maximal 0,08 Euro pro gespeicherter kWh - diese Kosten halten die Forscher mit ihrem Ansatz für mittelfristig erreichbar.
Auch in den USA forscht man seit Längerem an neuen Elektrolyten für Redox-Flow-Stromspeicher. Forscher der Harvard-Universität in Cambridge setzen dabei jedoch nicht auf Chinone, sondern auf Ferrocyanide. Diese nicht-toxischen und nicht-korrosiven Ionen sind bereits im Eisen gebunden und somit ungefährlich. Sie werden u.a. auch in der Lebensmittelindustrie als Zusatzstoff und als Düngemittel eingesetzt. Ferrocyanid ist sehr löslich und in alkalischen, nicht-sauren Lösungen äußerst stabil. Da Ferrocyanid-Elektrolyte nicht korrodieren, können die Tanks der Redox-Flow-Batterien aus günstigeren Materialien wie Kunststoff hergestellt werden.