Anschlag auf Nord Stream-Pipelines: "Superemitter-Event mit krasser Klimawirkung"
Während bereits in der Nacht zum Montag ein Druckabfall in der Nord Stream 2-Pipeline registriert wurde, meldete die Nord Stream AG am Montag auch einen Druckabfall an beiden Strängen von Nord Stream 1 in der Ostsee nordöstlich vor der Insel Bornholm. Drei von vier Strängen der Ostseepipelines seien beschädigt. Am Donnerstagmorgen teilte die Schwedische Küstenwache mit, dass ein viertes Leck in den Nord-Stream-Pipelines entdeckt wurde. Mehrheitlich wird davon ausgegangen, dass Sabotage die Ursache für die Lecks ist.
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Messstationen sollen Unterwasser-Detonationen aufgezeichnet haben
Eine natürliche Ursache werde auch von der Betreiberfirma ausgeschlossen. Demnach seien die Pipelines so verlegt, dass es sehr unwahrscheinlich sei, dass z. B. ein Anker beide Pipelines in diesem Umfang beschädigen kann. Daher gehen die Bundesregierung, Dänemark, Polen, Schweden und die EU von einem vorsätzlichen Anschlag auf die Gasversorgung Europas aus.
Insgesamt gibt es drei Lecks. Der erste Druckabfall wurde in der Nacht zum Montag in einer der Röhren von Nord Stream 2 registriert. Demnach liege der Druck bei der rund 70 bis 80 Meter unter der Wasseroberfläche verlegten Pipeline bei nur noch 7 bar. Die bereits mit Gas befüllte Pipeline weist normalerweise einen Druck von 105 bar auf.
Dass Explosionen ursächlich sein könnten, legen seismographische Daten nahe. Messstationen in Schweden und Dänemark sollen Unterwasser-Detonationen aufgezeichnet haben: "Es gibt keinen Zweifel daran, dass es sich um Sprengungen handelt", sagte der Seismologe Björn Lund vom Schwedischen Seismologischen Netzwerk (SNSN) am Dienstag dem schwedischen Rundfunksender SVT.
Deutsche Sicherheitsbehörden gehen davon aus, dass dafür Sprengsätze verwendet wurden, deren Wirkung mit der von 500 Kilogramm TNT vergleichbar ist.

Alles spricht für eine vorsätzliche Sabotage der Pipelines
Aufgrund der Wassertiefe und dem Umfang des Gasaustritts wird davon ausgegangen, dass nur ein „staatlicher Akteur“ infrage kommen kann. Die dänischen Behörden seien zu der eindeutigen Bewertung gekommen, dass es sich um absichtliche Taten handle und nicht um ein Unglück, sagte die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen. Wer hinter den Anschlägen stecke, sei bislang jedoch unklar.
"Alle verfügbaren Informationen deuten darauf hin, dass diese Lecks das Ergebnis einer vorsätzlichen Handlung sind", erklärte auch der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell im Namen der 27 Mitgliedstaaten und warnte, dass die EU im Falle einer vorsätzlichen Sabotage der Pipelines "mit einer robusten und gemeinsamen Reaktion" reagieren werde.
Auch Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, machte auf Twitter deutlich, dass "jede absichtliche Unterbrechung der aktiven europäischen Energieinfrastruktur inakzeptabel ist und zur stärkst möglichen Reaktion führen wird."
Viele Medien mutmaßen, dass Russland infrage käme. Das Motiv könnte z. B. sein, eine Rechtfertigung für weitere Verzögerungen der Gaslieferungen zu schaffen, um so späteren Regressansprüchen begegnen zu können - sofern die gesprengten Pipelines überhaupt repariert werden können. Für Russland als Verursacher spräche auch, dass der Kreml ein Interesse daran hat, Verunsicherung in Europa zu schüren, sowie dass die Energiepreise weiter steigen. Gegen Russland spricht, dass der Kreml sich mit der Zerstörung der Pipelines der Möglichkeit beraubt, in Zukunft große Mengen Gas nach Europa zu verkaufen. Die USA, Ostsee-Anrainer oder die Ukraine als Täter erscheinen den allermeisten Sicherheitsexperten mehr als unwahrscheinlich.
Auch die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestages, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, vermutet Russland hinter dem möglichen Sabotageakt. "Nicht ausgeschlossen ist, dass sie von Russland gelenkt werden, um unsere Märkte zu erschüttern", sagte Strack-Zimmermann dem RND.

Immenser Schaden für das Klima befürchtet
Da allerdings kein Gas durch Nord Stream 1 und 2 geliefert wurde, hält sich der direkte, mit den Gaslecks verbundene wirtschaftliche Schaden derzeit in Grenzen. Allerdings muss von einem immensen Schaden für das Klima ausgegangen werden. Denn während die unmittelbaren Auswirkungen der Leckagen auf die Umwelt als lokal begrenzt eingeschätzt werden, besitzt das ausgetretene Methan, das den Hauptbestandteil von Erdgas bildet, eine immense klimaschädigende Wirkung.
Constantin Zerger, Leiter Energie und Klimaschutz bei der Umwelthilfe, schätzt auf Twitter die durch die Lecks an den NordStream-Pipelines emittierten Mengen CO2e im schlimmsten Fall auf 28,5 Mio t CO2e. Zerger warnt: "In jedem Fall handelt es sich hier um ein Superemitter-Event mit krasser Klimawirkung. Das verbleibende Gas muss deshalb so schnell wie möglich aus allen Strängen abgepumpt werden."
Jürgen Karl, Professor an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, fasste den Klimaschaden der Pipeline-Leckagen auf Twitter ähnlich zusammen. Er geht davon aus, dass - falls die Pipelines mit 200 bar gefüllt waren - 500 Millionen Tonnen m3 Erdgas entwichen sein können. Dies entspricht 29 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent und in etwa 4 % der deutschen Treibhausgasemissionen 2020, 12,5 % der Kapazität des Gasspeichers Rehden und rund 4,8 TWh Heizwert zu Kosten von etwa 980 Mio. €.
Nach Berechnungen des Umweltbundesamtes (UBA) führen die Lecks in den Pipelines Nord Stream 1 und 2 zu Emissionen von etwa 7,5 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalenten. Das UBA geht dabei von einer ungefähren Länge der Röhren von 1250 km, einem Durchmesser von ca. 1,1 Metern, einem Druck von 100 bar und einer Temperatur von 10 Grad aus. Insgesamt werden voraussichtlich 0,3 Millionen Tonnen Methan in die Atmosphäre gelangen. Da es keine Abschottungsmechanismen an den Pipelines gibt, geht das UBA davon aus, dass aller Voraussicht nach der gesamte Inhalt der Röhren entweichen wird.
Da zumindest eines der Lecks nach bisherigen Informationen auf dänischem Hoheitsgebiet liegt, werden die Emissionen in der Klimaberichterstattung voraussichtlich Dänemark zugerechnet werden. Je nachdem in welchem Hoheitsgebiet die Lecks genau liegen, erfolgt eine Zuordnung der Emissionen in der Klimaberichterstattung. Liegen die Lecks auf dänischem Hoheitsgebiet so muss Dänemark die Emissionen berichten. Liegen sie jedoch in internationalen Gewässern, werden die Emissionen in keiner Emissionsberichterstattung erfasst, bleiben aber genauso klimaschädlich.