Letzte Aktualisierung: 27.04.2017

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EuGH-Urteil: Moorburg hätte nicht genehmigt werden dürfen

Das EuGH hat nun festgestellt, dass das Kohlekraftwerk Moorburg nicht hätte genehmigt werden dürfen, da keine korrekte und vollständige Verträglichkeitsprüfung durchgeführt wurde.

Kohlekraftwerk Moorburg im Oktober 2018 (Foto: energie-experten.org)

Nach einem am 26.04.2017 gefällten Urteil des Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hätte das Kohlekraftwerk Moorburg nicht genehmigt werden dürfen. Grund hierfür sei eine nicht ausreichende Verträglichkeitsprüfung. (Foto: energie-experten.org)

Das umstrittene Kohlekraftwerk in Hamburg Moorburg, das 2015 nach acht Jahren Bauzeit in Betrieb genommen wurde, hätte nach einem am 26.04.2017 gefällten Urteil des Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) nicht genehmigt werden dürfen. Grund hierfür sei eine nicht ausreichende Verträglichkeitsprüfung, nach der Vattenfall als Ausgleich zu den möglichen Schäden am Fischbestand durch die Kühlwasserentnahme eine Fischtreppe beim Geesthachter Wehr baute.

Die EU-Kommission, die Deutschland wegen eines Verstoßes gegen europäisches Umweltrecht verklagt hatte, griff das Ergebnis der Verträglichkeitsprüfung an, die nicht vorgebe, dass die Fischaufstiegsanlage die mit dem Betrieb des Kraftwerks Moorburg verbundenen negativen Auswirkungen verhindern oder verringern könne, sondern vielmehr nur dadurch einen angemessenen Ausgleich für diese Auswirkungen schaffe, dass andere als die getöteten oder verletzten Fische das Geesthachter Wehr überwinden könnten.

Das EuGH-Urteil macht final deutlich, dass die Bundesrepublik Deutschland durch die Genehmigung des Kohlekraftwerks Moorburg gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen verstoßen hat, da sie bei der Genehmigung keine korrekte und vollständige Verträglichkeitsprüfung durchgeführt hat.

Dass sich 2 Jahre nach Inbetriebnahme auch aus verwaltungsrechtlicher Sicht herausstellt, dass das Kraftwerk Moorburg gar nicht hätte genehmigt werden dürfen, könnte auch noch politisch abfärben. Denn 2008 gewannen die Grünen mit ihrer Kampagne gegen "Kohle von Beust" viele Stimmen und zogen daraufhin mit Anja Hajduk an der Spitze ins Hamburger Rathaus ein. Kurz darauf hieß es jedoch, dass gerade aus verwaltungsrechtlicher Sicht kein Stopp möglich sei, sondern lediglich ein Betrieb unter Auflagen.

Vollständiges Urteil des Gerichtshofes vom 26. April 2017

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Umwelt – Richtlinie 92/43/EWG – Art. 6 Abs. 3 – Erhaltung der natürlichen Lebensräume – Errichtung des Kohlekraftwerks Moorburg (Deutschland) – Natura-2000-Gebiete am Lauf der Elbe stromaufwärts vom Kohlekraftwerk – Prüfung der Verträglichkeit eines Plans oder Projekts mit einem geschützten Gebiet“

In der Rechtssache C 142/16

betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV, eingereicht am 9. März 2016,

Europäische Kommission, vertreten durch C. Hermes und E. Manhaeve als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin,

gegen

Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch T. Henze und J. Möller als Bevollmächtigte im Beistand von Rechtsanwalt W. Ewer,

Beklagte,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič, der Richterin A. Prechal, des Richters A. Rosas, der Richterin C. Toader (Berichterstatterin) und des Richters E. Jarašiūnas,

Generalanwalt: H. Saugmandsgaard Øe,

Kanzler: I. Illéssy, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 12. Januar 2017,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1 Mit ihrer Klage begehrt die Europäische Kommission die Feststellung, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 6 Abs. 3 und 4 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (ABl. 1992, L 206, S. 7, im Folgenden: Habitat-Richtlinie) verstoßen hat, dass sie bei der Genehmigung der Errichtung des Kohlekraftwerks Moorburg bei Hamburg (Deutschland) keine korrekte und vollständige Verträglichkeitsprüfung durchgeführt hat.

Rechtlicher Rahmen

2 Die Erwägungsgründe 1, 4 und 10 der Habitat-Richtlinie lauten:

„Wie in Artikel [191 AEUV] festgestellt wird, sind Erhaltung, Schutz und Verbesserung der Qualität der Umwelt wesentliches Ziel der [Union] und von allgemeinem Interesse; hierzu zählt auch der Schutz der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen.

Der Zustand der natürlichen Lebensräume im europäischen Gebiet der Mitgliedstaaten verschlechtert sich unaufhörlich. Die verschiedenen Arten wildlebender Tiere und Pflanzen sind in zunehmender Zahl ernstlich bedroht. Die bedrohten Lebensräume und Arten sind Teil des Naturerbes der [Union], und die Bedrohung, der sie ausgesetzt sind, ist oft grenzübergreifend; daher sind zu ihrer Erhaltung Maßnahmen auf [Unionsebene] erforderlich.

Pläne und Projekte, die sich auf die mit der Ausweisung eines Gebiets verfolgten Erhaltungsziele wesentlich auswirken könnten, sind einer angemessenen Prüfung zu unterziehen.“

3 Art. 2 Abs. 2 der Habitat-Richtlinie bestimmt:

„Die aufgrund dieser Richtlinie getroffenen Maßnahmen zielen darauf ab, einen günstigen Erhaltungszustand der natürlichen Lebensräume und wildlebenden Tier- und Pflanzenarten von gemeinschaftlichem Interesse zu bewahren oder wiederherzustellen.“

4 Art. 6 Abs. 3 und 4 der Habitat-Richtlinie sieht vor:

„(3) Pläne oder Projekte, die nicht unmittelbar mit der Verwaltung des Gebietes in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig sind, die ein solches Gebiet jedoch einzeln oder in Zusammenwirkung mit anderen Plänen und Projekten erheblich beeinträchtigen könnten, erfordern eine Prüfung auf Verträglichkeit mit den für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungszielen. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung und vorbehaltlich des Absatzes 4 stimmen die zuständigen einzelstaatlichen Behörden dem Plan bzw. Projekt nur zu, wenn sie festgestellt haben, dass das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt wird, und nachdem sie gegebenenfalls die Öffentlichkeit angehört haben.

(4) Ist trotz negativer Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art ein Plan oder Projekt durchzuführen und ist eine Alternativlösung nicht vorhanden, so ergreift der Mitgliedstaat alle notwendigen Ausgleichsmaßnahmen, um sicherzustellen, dass die globale Kohärenz von Natura 2000 geschützt ist. Der Mitgliedstaat unterrichtet die Kommission über die von ihm ergriffenen Ausgleichsmaßnahmen.

Ist das betreffende Gebiet ein Gebiet, das einen prioritären natürlichen Lebensraumtyp und/oder eine prioritäre Art einschließt, so können nur Erwägungen im Zusammenhang mit der Gesundheit des Menschen und der öffentlichen Sicherheit oder im Zusammenhang mit maßgeblichen günstigen Auswirkungen für die Umwelt oder, nach Stellungnahme der Kommission, andere zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses geltend gemacht werden.“

5 Die Habitat-Richtlinie enthält sechs Anhänge; ihr Anhang II ist mit „Tier- und Pflanzenarten von [Unionsinteresse], für deren Erhaltung besondere Schutzgebiete ausgewiesen werden müssen“ überschrieben.

Vorgeschichte des Rechtsstreits und Vorverfahren

6 Das Kohlekraftwerk Moorburg befindet sich im Hamburger Hafen, am Südufer der Süderelbe, die als Wanderstrecke für bestimmte in Anhang II der Habitat-Richtlinie aufgeführte Fische, und zwar Flussneunaugen (Lampetra fluviatilis), Meerneunaugen (Petromyzon marinus) und Lachse (Salmo salar), eine wichtige Funktion für eine Reihe stromaufwärts des Stauwehrs bei Geesthacht (Deutschland) gelegener Natura-2000-Gebiete hat, deren Erhaltungsziele diese Arten umfassen. Die Gebiete befinden sich in den Bundesländern Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Sachsen und sind vom Kraftwerk bis zu 600 Kilometer (km) entfernt. Am Lauf der Elbe zwischen dem Kraftwerk Moorburg und den Natura-2000-Gebieten befindet sich das Geesthachter Wehr.

7 Der am 30. September 2008 erteilten Genehmigung zur Errichtung des Kraftwerks Moorburg war eine Umweltverträglichkeitsprüfung (im Folgenden: Verträglichkeitsprüfung) nach deutschem Wasserrecht vorausgegangen. Sie hatte zu dem Ergebnis geführt, dass die Genehmigung mit den Erhaltungszielen der Natura-2000-Gebiete vereinbar sei, da sich der Kraftwerksbetreiber verpflichtet habe, in etwa 30 km Entfernung vom Kraftwerk, am Geesthachter Wehr, eine zweite Fischaufstiegsanlage einzurichten, um dadurch die durch den Betrieb des kraftwerkseigenen Kühlsystems, das die Entnahme großer Wassermengen zur Kühlung des Kraftwerks Moorburg erfordert, verursachten Verluste einzelner Exemplare auszugleichen. Zudem war als Ergebnis der Verträglichkeitsprüfung ein mehrphasiges Monitoring zur Überprüfung der Wirksamkeit dieser Maßnahme vorgesehen.

8 Aufgrund von zwei die Verträglichkeitsprüfung betreffenden Beschwerden richtete die Kommission am 27. Januar 2014 ein Aufforderungsschreiben an die Bundesrepublik Deutschland, mit dem sie ihr vorwarf, Art. 6 Abs. 3 und 4 der Habitat-Richtlinie verletzt zu haben.

9 Nach Ansicht der Kommission wurden die Auswirkungen des Kraftwerks Moorburg auf die stromaufwärts des Geesthachter Wehrs gelegenen Natura-2000-Gebiete in der Verträglichkeitsprüfung unzureichend bzw. falsch bewertet. Zum einen habe die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt der Freien und Hansestadt Hamburg die Fischaufstiegsanlage fälschlich als Schadensbegrenzungsmaßnahme eingestuft, und zum anderen sei bei der Verträglichkeitsprüfung keine kumulative Betrachtung mit relevanten anderen Projekten vorgenommen worden.

10 Die Bundesrepublik Deutschland trat den Beanstandungen der Kommission mit Schreiben vom 11. April 2014 entgegen und machte geltend, die Fischaufstiegsanlage sei als Schadensbegrenzungsmaßnahme einzustufen.

11 Am 17. Oktober 2014 richtete die Kommission eine mit Gründen versehene Stellungnahme an die Bundesrepublik Deutschland, in der sie den Vorwurf der Verletzung von Art. 6 Abs. 3 und 4 der Habitat-Richtlinie aufrechterhielt.

12 Die Bundesrepublik Deutschland hielt mit Schreiben vom 15. Dezember 2014 an ihrem vorherigen Standpunkt fest.

13 Da die Kommission der Auffassung war, dass die Bundesrepublik Deutschland gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 6 Abs. 3 und 4 der Habitat-Richtlinie verstoßen habe, beschloss sie am 9. März 2016, die vorliegende Klage zu erheben.

Zur Klage

Erster Klagegrund: Verletzung von Art. 6 Abs. 3 Satz 2 der Habitat-Richtlinie

Vorbringen der Parteien

14 Mit ihrer ersten Rüge wirft die Kommission der Bundesrepublik Deutschland vor, durch die Erteilung der Genehmigung vom 30. September 2008 Art. 6 Abs. 3 Satz 2 der Habitat-Richtlinie verletzt zu haben. Der Betrieb des Kraftwerks Moorburg habe negative Auswirkungen auf verschiedene stromaufwärts des Geesthachter Wehrs gelegene Natura-2000-Gebiete. Insbesondere würden durch die Kühlwasserentnahme auf Höhe des Kraftwerks Moorburg zahlreiche in Anhang II der Habitat-Richtlinie aufgeführte Fische getötet./p>

15 Vorab macht die Kommission geltend, dass die Lage des Kraftwerks Moorburg außerhalb der stromaufwärts des Geesthachter Wehrs gelegenen Natura-2000-Gebiete unerheblich sei. Die Tötung von Fischen stelle für sich genommen keine Verletzung von Art. 6 Abs. 3 Satz 2 der Habitat-Richtlinie dar. Diese ergebe sich aber aus den Auswirkungen der Fischverluste auf die Bestände in den stromaufwärts des Geesthachter Wehrs gelegenen Natura-2000-Gebieten.

16 Die Kommission greift das Ergebnis der Verträglichkeitsprüfung an, die nicht vorgebe, dass die Fischaufstiegsanlage die mit dem Betrieb des Kraftwerks Moorburg verbundenen negativen Auswirkungen verhindern oder verringern könne; sie solle vielmehr nur dadurch einen angemessenen Ausgleich für diese Auswirkungen schaffen, dass andere als die getöteten oder verletzten Fische das Geesthachter Wehr überwinden könnten.

17 Zudem sei eine solche Einschätzung nicht mit der auf das Urteil vom 15. Mai 2014, Briels u. a. (C 521/12, EU:C:2014:330), zurückgehenden Rechtsprechung vereinbar. Selbst wenn die Fischaufstiegsanlage zu einer Stärkung der Wanderfischbestände führen würde, könne dadurch weder die Wanderfisch- noch die Laichpopulation geschont werden.

18 In der Genehmigung vom 30. September 2008 werde ausdrücklich eingeräumt, dass die Auswirkungen der Einrichtung einer zweiten Fischaufstiegsanlage neben dem Geesthachter Wehr ungewiss seien.

19 Schließlich seien die von der Bundesrepublik Deutschland für die Jahre 2011 bis 2014 vorgelegten Erkenntnisse und Gutachten zu den Annahmen, auf denen die Verträglichkeitsprüfung beruht habe, insofern irrelevant, als sie nach der Prüfung und der Erteilung der Genehmigung vom 30. September 2008 erfolgt seien. Die Bundesrepublik Deutschland habe außerdem keinen Nachweis für die Entwicklung der Bestände in den betroffenen Natura-2000-Gebieten erbracht, um eine etwaige Wirksamkeit der Fischaufstiegsanlage zu belegen.

20 Die Bundesrepublik Deutschland bestreitet die ihr vorgeworfene Vertragsverletzung. Sie macht geltend, es liege keine erhebliche Beeinträchtigung im Sinne von Art. 6 Abs. 3 Satz 1 der Habitat-Richtlinie vor. Nach den schon bei der Verträglichkeitsprüfung im Rahmen des mit Erteilung der Genehmigung vom 30. September 2008 abgeschlossenen Verfahrens getroffenen Feststellungen sei nur mit sehr wenigen getöteten Exemplaren zu rechnen.

21 Der Tod einer gewissen Zahl von Exemplaren bestimmter Fischarten durch die Kühlwasserentnahme des Kraftwerks Moorburg führe nicht zur Zerstörung des Lebensraums in den bis zu mehreren Hundert Kilometern vom Kraftwerk entfernten Natura-2000-Gebieten. Die Mitgliedstaaten seien praktisch außerstande, sämtliche in Betracht zu ziehenden Wirkungen bestimmter Maßnahmen auf derart entfernte Natura-2000-Gebiete zu erkennen.

22 Was die Auswirkungen der Fischaufstiegsanlage angehe, stelle die Genehmigung vom 30. September 2008 verlässlich sicher, dass die Zahl der unter Anhang II der Habitat-Richtlinie fallenden Fische, die über die Fischaufstiegsanlage stromaufwärts wanderten, mindestens ebenso hoch sei wie die Zahl der am Kraftwerk Moorburg durch die Kühlwasserentnahme getöteten Fische. Die getöteten und die zusätzlich aufsteigenden Fische unterschieden sich hinsichtlich ihrer biologischen Eigenschaften nicht, so dass sich in den Natura-2000-Gebieten oberhalb des Geesthachter Wehrs eine unveränderte Population befinde.

23 Die in Anhang II der Habitat-Richtlinie aufgeführten Fischarten würden nicht vom Anwendungsbereich ihres Art. 6 erfasst. Im Rahmen des in dieser Bestimmung vorgesehenen Habitatschutzes seien allein die Erhaltungsziele der Natura-2000-Gebiete von Bedeutung, also die Tatsache, dass das Schutzgebiet eine unveränderte Populationsstruktur aufweise.

24 Die Genehmigungsbehörde sei von Worst-Case-Annahmen ausgegangen und habe zudem die Inbetriebnahme der Durchlaufkühlung von einem tatsächlichen Funktionsnachweis für die Fischaufstiegsanlage abhängig gemacht; dieser Nachweis sei in den Jahren 2011 bis 2014 erbracht worden. Das Gutachten vom 15. Januar 2014 zeige, dass nur sehr wenige Fische getötet würden, während es anderen Fischen dank der Fischaufstiegsanlage gelinge, in die stromaufwärts gelegenen Schutzgebiete zu wandern.

25 In Bezug auf das Risikomanagement führt die Bundesrepublik Deutschland aus, die Genehmigung vom 30. September 2008 verbinde prognostische Elemente mit vorsorglich beobachtenden Elementen, wobei auch Verfahren zur Beschränkung der weiteren Kühlwasserentnahme in dem zum Schutz der betroffenen Arten erforderlichen Umfang einbezogen würden.

26 Die Erkenntnisse und Gutachten für die Jahre 2011 bis 2014 seien bei der Beurteilung der Vertragsverletzungsklage zu berücksichtigen, weil die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzte Frist am 16. Dezember 2014 abgelaufen sei. Diese Erkenntnisse seien insofern erheblich, als ihre Erhebung vor der Genehmigungserteilung am 30. September 2008 angeordnet worden sei und sie damit Bestandteil der Verträglichkeitsprüfung seien.

27 Die Inbetriebnahme der Durchlaufkühlung sei zudem von einem tatsächlichen Funktionsnachweis für die Fischaufstiegsanlage abhängig gemacht worden. Dieser Nachweis sei durch die in den Jahren 2011 bis 2014 getroffenen Feststellungen erbracht worden. Der Prognose für die Wirksamkeit der Schadensbegrenzung durch die Fischaufstiegsanlage habe ein zweistufiges Prognosemodell zugrunde gelegen, bestehend aus den Prognosen aus der Planung der Anlage mit der abschließenden Plangenehmigung zum einen und den zu gewinnenden Erkenntnissen aus dem Monitoring zum anderen.

28 Schließlich werde die Fischaufstiegsanlage seit August 2010 betrieben, während die reguläre Kühlwasserentnahme erst nach dem erfolgreichen Abschluss des Monitorings im März 2015 begonnen habe.

Würdigung durch den Gerichtshof

29 Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die Anwendbarkeit der Anforderungen von Art. 6 Abs. 3 der Habitat-Richtlinie nicht dadurch ausgeschlossen wird, dass sich das Projekt, dessen Umweltfolgenabschätzung beanstandet wird, nicht in den betroffenen Natura-2000-Gebieten befindet, sondern in erheblicher Entfernung hiervon stromaufwärts der Elbe. Wie aus dem Wortlaut dieser Vorschrift hervorgeht, unterliegen dem darin vorgesehenen Umweltschutzmechanismus nämlich „Pläne oder Projekte, die nicht unmittelbar mit der Verwaltung des Gebiets in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig sind, die ein solches Gebiet jedoch … erheblich beeinträchtigen könnten“.

30 Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten, dass in Anhang II der Habitat-Richtlinie aufgeführte und in den betroffenen Natura-2000-Gebieten geschützte Fischarten durch das Kühlsystem des Kraftwerks Moorburg erheblich beeinträchtigt werden können.

31 Nach der von den deutschen Behörden durchgeführten Verträglichkeitsprüfung beeinträchtigt der Tod einzelner Exemplare der drei betroffenen, in Anhang II der Habitat-Richtlinie aufgeführten Fischarten im Zusammenhang mit der Kühlwasserentnahme des Kraftwerks Moorburg in ihrem Wanderkorridor die Reproduktion dieser Arten in den geschützten Gebieten. Insbesondere besteht nach der Verträglichkeitsprüfung für Langdistanzwanderfische wie das Flussneunauge, das Meerneunauge und den Lachs ein hohes Risiko.

32 Angesichts dieser Verträglichkeitsprüfung durften die deutschen Behörden gemäß Art. 6 Abs. 3 Satz 2 der Habitat-Richtlinie dem Projekt zur Errichtung des Kraftwerks Moorburg nur zustimmen, „wenn sie festgestellt haben, dass [dadurch] [die] Gebiet[e] als [solche] nicht beeinträchtigt [werden] …“.

33 Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, dürfen die zuständigen nationalen Behörden die einer Verträglichkeitsprüfung unterzogene Tätigkeit nämlich nur dann genehmigen, wenn sie Gewissheit darüber erlangt haben, dass sie sich nicht nachteilig auf das geschützte Gebiet als solches auswirkt. Dies ist dann der Fall, wenn aus wissenschaftlicher Sicht kein vernünftiger Zweifel daran besteht, dass es keine solchen Auswirkungen gibt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. November 2016, Lesoochranárske zoskupenie VLK, C 243/15, EU:C:2016:838, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

34 Um sich zu vergewissern, dass durch das Projekt zur Errichtung des Kraftwerks Moorburg die betroffenen Natura-2000-Gebiete nicht beeinträchtigt werden, hatten die deutschen Behörden die in dieses Projekt einbezogenen Schutzmaßnahmen zu berücksichtigen. Insoweit gebietet nach ständiger Rechtsprechung der Vorsorgegrundsatz im Rahmen der Durchführung von Art. 6 Abs. 3 der Habitat-Richtlinie, dass die zuständige nationale Behörde u. a. in das Projekt einbezogene Schutzmaßnahmen berücksichtigt, mit denen etwaige unmittelbar verursachte schädliche Auswirkungen verhindert oder verringert werden sollen, um dafür zu sorgen, dass das Projekt das geschützte Gebiet als solches nicht beeinträchtigt (Urteile vom 15. Mai 2014, Briels u. a., C 521/12, EU:C:2014:330, Rn. 28, sowie vom 21. Juli 2016, Orleans u. a., C 387/15 und C 388/15, EU:C:2016:583, Rn. 54).

35 Vorliegend ergibt sich aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten, dass – neben weiteren Maßnahmen zur Verhinderung negativer Auswirkungen der Wasserentnahme wie der Errichtung von Fischscheuchanlagen, der Fischrückführung und der Reduzierung des Betriebs des Kraftwerks Moorburg bei fischkritischen Sauerstoffgehalten – eine Fischaufstiegsanlage auf Höhe des Geesthachter Wehrs eingerichtet wurde.

36 Diese Fischaufstiegsanlage könnte zu einer Stärkung der Wanderfischbestände führen, indem sie es diesen Arten ermöglicht, schneller ihre Laichgebiete an der mittleren und oberen Elbe zu erreichen. Durch die Stärkung der Bestände würden die beim Kraftwerk Moorburg verursachten Verluste ausgeglichen, so dass die Erhaltungsziele der stromaufwärts vom Kraftwerk gelegenen Natura-2000-Gebiete nicht in erheblichem Maß beeinträchtigt würden.

37 Aus der Verträglichkeitsprüfung geht jedoch hervor, dass sie keine endgültigen Erkenntnisse zur Wirksamkeit der Fischaufstiegsanlage enthält; darin heißt es lediglich, dass ihre Wirksamkeit erst nach einem mehrjährigen Monitoring bestätigt werde.

38 Somit ist festzustellen, dass zum Zeitpunkt der Genehmigungserteilung die Fischaufstiegsanlage, auch wenn mit ihr die erheblichen unmittelbaren Auswirkungen auf die stromaufwärts vom Kraftwerk Moorburg gelegenen Natura-2000-Gebiete verringert werden sollten, zusammen mit den weiteren in Rn. 35 des vorliegenden Urteils genannten Maßnahmen nicht zu gewährleisten vermochte, dass kein vernünftiger Zweifel daran bestand, dass das Gebiet als solches durch das Kraftwerk nicht im Sinne von Art. 6 Abs. 3 der Habitat-Richtlinie beeinträchtigt wird.

39 Dieses Ergebnis wird durch das Vorbringen der Bundesrepublik Deutschland zum Risikomanagement und zu den für die Jahre 2011 bis 2014 vorgelegten Erkenntnissen nicht in Frage gestellt.

40 Nach der Rechtsprechung schließt das in Art. 6 Abs. 3 Satz 2 der Habitat-Richtlinie vorgesehene Genehmigungskriterium den Vorsorgegrundsatz ein und ermöglicht es, durch Pläne oder Projekte entstehende Beeinträchtigungen der geschützten Gebiete als solche wirksam zu verhüten. Ein weniger strenges Genehmigungskriterium als das in Rede stehende könnte die Verwirklichung des mit dieser Bestimmung verfolgten Ziels des Schutzes der Gebiete nicht ebenso wirksam gewährleisten (Urteil vom 21. Juli 2016, Orleans u. a., C 387/15 und C 388/15, EU:C:2016:583, Rn. 53 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

41 Zu den der Verträglichkeitsprüfung zugrunde liegenden Prognosen ist festzustellen, dass die Erkenntnisse für die Jahre 2011 bis 2014 von der Bundesrepublik Deutschland erst nach Erteilung der Genehmigung vom 30. September 2008 vorgelegt wurden.

42 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass zum Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung, mit der das Projekt genehmigt wird, aus wissenschaftlicher Sicht kein vernünftiger Zweifel daran bestehen darf, dass es sich nicht nachteilig auf das betreffende Gebiet als solches auswirkt (Urteil vom 26. Oktober 2006, Kommission/Portugal, C 239/04, EU:C:2006:665, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).

43 Auch das mehrphasige Monitoring reicht nicht aus, um die Einhaltung der in Art. 6 Abs. 3 der Habitat-Richtlinie vorgesehenen Verpflichtung zu gewährleisten.

44 Zum einen können die Ergebnisse dieses Monitorings – wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, ohne dass ihr der beklagte Mitgliedstaat insoweit widersprochen hätte – dann nicht relevant sein, wenn die Messung in Zeiträumen durchgeführt wird, in denen das Kraftwerk Moorburg die Durchlaufkühlung nicht verwendet. Zum anderen werden dabei nur die Fische gezählt, denen es gelingt, das Geesthachter Wehr mittels der Fischaufstiegsanlage zu überwinden. Somit vermag das Monitoring nicht sicherzustellen, dass durch die Fischaufstiegsanlage eine Beeinträchtigung der geschützten Gebiete als solche vermieden wird.

45 Folglich hat die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 6 Abs. 3 Satz 2 der Habitat-Richtlinie verstoßen, dass sie das Projekt zur Errichtung des Kraftwerks Moorburg an der Elbe auf der Grundlage einer Verträglichkeitsprüfung genehmigt hat, die zu dem Ergebnis kam, dass die Natura-2000-Gebiete nicht beeinträchtigt würd

Zweiter Klagegrund: Verletzung von Art. 6 Abs. 3 Satz 2 der Habitat-Richtlinie, weil die kumulativen Auswirkungen mit anderen Projekten nicht geprüft wurden

Vorbringen der Parteien

46 Die Kommission trägt vor, Art. 6 Abs. 3 Satz 2 der Habitat-Richtlinie sei auch dadurch verletzt worden, dass die Stadt Hamburg die Genehmigung vom 30. September 2008 erteilt habe, ohne bei der Verträglichkeitsprüfung für das Kraftwerk Moorburg die möglichen kumulativen Auswirkungen aufgrund des bestehenden Pumpspeicherkraftwerks bei Geesthacht und des Laufwasserkraftwerks am Geesthachter Wehr, für das ebenfalls eine Errichtungs- und Betriebsgenehmigung beantragt worden sei, zu berücksichtigen.

47 Das Pumpspeicherkraftwerk bei Geesthacht bestehe seit 1958 und verfüge über keine besonderen Fischschutzvorrichtungen. Erst im Lauf des Jahres 2014 habe die Bundesrepublik Deutschland ein Gutachten zum Beleg dafür vorgelegt, dass dieses Kraftwerk keine Gefahr für die betroffenen Wanderfischarten darstelle.

48 Dass das Pumpspeicherkraftwerk Geesthacht vor Ablauf der Frist für die Umsetzung der Habitat-Richtlinie errichtet worden sei, spiele keine Rolle, weil nach den Bestimmungen von Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie nicht nur die nach Ablauf der Frist zur Umsetzung der Richtlinie genehmigten oder abgeschlossenen Pläne und Projekte heranzuziehen seien.

49 Auch das Laufwasserkraftwerk oberhalb des Geesthachter Wehrs, für das am 22. Mai 2008 eine Errichtungs- und Betriebsgenehmigung beantragt worden sei, hätte im Rahmen der Prüfung kumulativer Auswirkungen des Kraftwerks Moorburg berücksichtigt werden müssen. Dieser Antrag sei zwar im Lauf des Jahres 2010 zurückgezogen worden, doch seien zum Zeitpunkt der Erteilung der Genehmigung vom 30. September 2008 Auswirkungen des Laufwasserkraftwerks auf die Wanderfischpopulationen vorhersehbar gewesen.

50 Die Bundesrepublik Deutschland macht zunächst geltend, das Pumpspeicherkraftwerk bei Geesthacht sei bei der Verträglichkeitsprüfung nicht zu berücksichtigen gewesen, weil es beim Erlass der Habitat-Richtlinie bereits bestanden habe; sie beruft sich insoweit auf das Urteil des Gerichtshofs vom 14. Januar 2016, Grüne Liga Sachsen u. a. (C 399/14, EU:C:2016:10, Rn. 58 und 59).

51 Sodann trägt sie vor, das Laufwasserkraftwerk am Geesthachter Wehr habe nicht als „anderes Projekt“ einbezogen werden müssen, da ihm von Anfang an die Genehmigungsfähigkeit gefehlt habe.

52 Ein solches Projekt hätte nicht ohne Mitwirkung der Vattenfall Europe AG, jetzt Vattenfall GmbH, genehmigt werden können. Nach deutschem Recht bedürfe der Betreiber eines künftigen Laufwasserkraftwerks der Genehmigung des Eigentümers der betroffenen Gewässer, im vorliegenden Fall der Bundesrepublik Deutschland.

53 Der Antrag auf Errichtung eines Laufwasserkraftwerks vom 22. Mai 2008 sei aber nicht von Vattenfall Europe oder einem von ihr begünstigten Dritten gestellt worden, sondern von der Wirtschaftsbetriebe Geesthacht GmbH, die im Gegensatz zu Vattenfall Europe nicht über die zur Errichtung eines Laufwasserkraftwerks erforderlichen Nutzungsrechte an den Grundstücken und Bauwerken der Staustufe Geesthacht verfügt habe.

54 Mit Schreiben vom 26. Mai 2008 habe daher die Planfeststellungsbehörde des Kreises Herzogtum Lauenburg (Deutschland) darauf hingewiesen, dass sie wegen fehlenden Sachbescheidungsinteresses kein Planfeststellungsverfahren eröffnen werde, solange Vattenfall Europe der Errichtung des Laufwasserkraftwerks nicht zustimme. Am 20. Juni 2008 habe Vattenfall Europe mitgeteilt, dass sie der Antragstellerin kein ihr zustehendes Nutzungsrecht übertragen werde. Daraufhin habe die Planfeststellungsbehörde letztlich kein Genehmigungsverfahren für das Laufwasserkraftwerk mehr eingeleitet.

55 Der Antrag auf Errichtung und Betrieb dieses Kraftwerks sei erst im Jahr 2010 zurückgenommen worden, weil die zuständige Behörde einen ablehnenden Bescheid habe vermeiden wollen und die Antragstellerin erst davon habe überzeugen müssen, ihrerseits den Antrag zurückzunehmen.

Würdigung durch den Gerichtshof

56 Mit ihrem zweiten Klagegrund, der aus zwei Teilen besteht, wirft die Kommission den deutschen Behörden vor, sie hätten die kumulativen Auswirkungen nicht bewertet, die das Kraftwerk Moorburg zusammen mit dem Pumpspeicherkraftwerk Geesthacht und dem Laufwasserkraftwerk am Geesthachter Wehr auf Störungen von Fischarten wie Flussneunauge, Meerneunauge und Lachs in den geschützten Gebieten habe.

57 Nach ständiger Rechtsprechung bedeutet die nach Art. 6 Abs. 3 der Habitat-Richtlinie durchzuführende Prüfung eines Plans oder Projekts auf Verträglichkeit mit dem betreffenden Gebiet, dass unter Berücksichtigung der besten einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse sämtliche Gesichtspunkte des Plans oder Projekts zu ermitteln sind, die für sich oder in Verbindung mit anderen Plänen oder Projekten die für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungsziele beeinträchtigen können (Urteil vom 14. Januar 2016, Grüne Liga Sachsen u. a., C 399/14, EU:C:2016:10, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).

58 In Bezug auf den ersten, das Pumpspeicherkraftwerk Geesthacht betreffenden Teil des zweiten Klagegrundes geht aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten hervor, dass es sich seit 1958 stromaufwärts in unmittelbarer Nähe des Geesthachter Wehrs befindet.

59 Zum einen ist, wie in Rn. 42 des vorliegenden Urteils ausgeführt, auf den Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung abzustellen, mit der ein Projekt genehmigt wird, wenn die kumulativen Auswirkungen dieses Projekts und eines anderen Projekts, durch das ein Gebiet erheblich beeinträchtigt werden kann, geprüft werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Oktober 2006, Kommission/Portugal, C 239/04, EU:C:2006:665, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).

60 Zum anderen geht es in der vorliegenden Rechtssache – anders als in der Rechtssache, in der das Urteil vom 14. Januar 2016, Grüne Liga Sachsen u. a. (C 399/14, EU:C:2016:10), ergangen ist – nicht um eine nachträgliche Verträglichkeitsprüfung des seit 1958 bestehenden Pumpspeicherkraftwerks Geesthacht, sondern um dessen Berücksichtigung im Rahmen der Verträglichkeitsprüfung eines anderen Projekts, nämlich des Kraftwerks Moorburg.

61 Nach Art. 6 Abs. 3 der Habitat-Richtlinie müssen die nationalen Behörden aber im Rahmen der Untersuchung der kumulativen Auswirkungen alle Projekte berücksichtigen, die zusammen mit dem Projekt, dessen Genehmigung beantragt wird, die mit der Richtlinie verfolgten Ziele erheblich beeinträchtigen können, auch wenn sie bereits vor der Umsetzung der Richtlinie bestanden.

62 Projekte, die wie das Pumpspeicherkraftwerk Geesthacht aufgrund ihres Zusammenwirkens mit dem Projekt, das Gegenstand der Verträglichkeitsprüfung ist, möglicherweise zu einer Verschlechterung oder zu Störungen, die sich auf die im Fluss vorkommenden Wanderfische auswirken, und folglich in Anbetracht der mit der Habitat-Richtlinie verfolgten Ziele zur Verschlechterung des betreffenden Gebiets führen können, dürfen bei der auf Art. 6 Abs. 3 der Habitat-Richtlinie gestützten Verträglichkeitsprüfung nicht außer Acht bleiben.

63 Nach alledem hat die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 6 Abs. 3 der Habitat-Richtlinie verstoßen, dass sie die kumulativen Auswirkungen des Kraftwerks Moorburg und des Pumpspeicherkraftwerks Geesthacht nicht in geeigneter Weise geprüft hat.

64 Mit dem zweiten Teil des zweiten Klagegrundes wirft die Kommission der Bundesrepublik Deutschland vor, im Rahmen der Prüfung der im vorliegenden Fall in Rede stehenden kumulativen Auswirkungen das Laufwasserkraftwerk am Geesthachter Wehr nicht berücksichtigt zu haben, weil der Antrag auf Genehmigung der Errichtung und des Betriebs dieses Kraftwerks nach deutschem Recht keine Aussicht auf Erfolg gehabt habe. Das Nutzungsrecht am Wasser und an den Grundstücken der in Rede stehenden Staustufe stelle nach deutschem Recht eine notwendige Voraussetzung für die Genehmigungsfähigkeit eines Projekts dar.

65 Insoweit geht aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten hervor, dass der Antrag auf Errichtung des Laufwasserkraftwerks am Geesthachter Wehr von einer Gesellschaft gestellt wurde, die kein Nutzungsrecht am Wasser dieser Staustufe oder an deren Grundstücken und Bauwerken besaß.

66 Ferner geht aus den Akten hervor, dass das wasserrechtliche Planfeststellungsverfahren nicht eingeleitet werden konnte, solange Vattenfall Europe – als Inhaberin der Nutzungsrechte am Wasser und an den Grundstücken bei der Staustufe Geesthacht – und die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes nicht mitgeteilt hatten, dass dem Projekt keine anderen Rechte entgegenstehen. Vattenfall Europe hatte aber in der Folge erklärt, dass sie die für die Errichtung des Laufwasserkraftwerks erforderliche Zustimmung verweigere.

67 Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass es kein „anderes Projekt“ im Sinne von Art. 6 Abs. 3 der Habitat-Richtlinie für ein Laufwasserkraftwerk auf Höhe des Geesthachter Wehrs gab. Somit ist der zweite Teil des zweiten Klagegrundes zurückzuweisen.

Dritter Klagegrund: Verletzung von Art. 6 Abs. 4 der Habitat-Richtlinie, weil dessen Voraussetzungen nicht geprüft wurden

Vorbringen der Parteien

68 Die Kommission wirft der Stadt Hamburg vor, aufgrund von Fehlern bei der Verträglichkeitsprüfung zu Unrecht eine Genehmigung erteilt zu haben, denn im Verfahren zum Erlass der Genehmigung vom 30. September 2008 sei versäumt worden, den Anforderungen von Art. 6 Abs. 4 der Habitat-Richtlinie zu genügen.

69 Ihrer Ansicht nach hätte die Stadt Hamburg Alternativlösungen zur Durchlaufkühlung prüfen müssen. So wäre der nachfolgende Bau eines Hybridkühlturms im Kraftwerk Moorburg eine die in Rede stehenden Natura-2000-Gebiete weniger beeinträchtigende Alternative zur Durchlaufkühlung gewesen. Dieser Bau wäre wirtschaftlich zumutbar gewesen oder hätte dem betroffenen Unternehmen bereits bei Erteilung der Genehmigung auferlegt werden können.

70 Die Bundesrepublik Deutschland trägt vor, ob die Voraussetzungen von Art. 6 Abs. 4 der Habitat-Richtlinie für eine Genehmigung des Projekts vorgelegen hätten, sei nicht zu prüfen, weil die Stadt Hamburg davon ausgegangen sei, dass mit dem Kraftwerk Moorburg keine erhebliche Beeinträchtigung stromaufwärts gelegener Natura-2000-Gebiete verbunden sei.

Würdigung durch den Gerichtshof

71 Nach Art. 6 Abs. 4 der Habitat-Richtlinie ergreift in einem Fall, in dem ein Plan oder ein Projekt trotz negativer Ergebnisse der Prüfung nach Art. 6 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses durchzuführen und keine Alternativlösung vorhanden ist, der betreffende Mitgliedstaat alle notwendigen Ausgleichsmaßnahmen, um sicherzustellen, dass die globale Kohärenz von Natura 2000 geschützt ist.

72 Da die zuständige Behörde im vorliegenden Fall davon ausging, dass keine Beeinträchtigung des Gebiets im Sinne von Art. 6 Abs. 3 der Habitat-Richtlinie vorliege, ist der dritte von der Kommission im Rahmen des Vertragsverletzungsverfahrens geltend gemachte Klagegrund, mit dem sie eine Verletzung von Art. 6 Abs. 4 der Richtlinie rügt, nicht zu prüfen.

73 Folglich ist festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 6 Abs. 3 der Habitat-Richtlinie verstoßen hat, dass sie bei der Genehmigung der Errichtung des Kraftwerks Moorburg keine korrekte und vollständige Verträglichkeitsprüfung durchgeführt hat.

Kosten

74 Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Nach Art. 138 Abs. 3 Satz 1 kann der Gerichtshof jedoch entscheiden, dass jede Partei ihre eigenen Kosten trägt, wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt. Da die Kommission und die Bundesrepublik Deutschland mit ihrem Vorbringen teils obsiegt haben und teils unterlegen sind, sind sie zur Tragung ihrer eigenen Kosten zu verurteilen.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1. Die Bundesrepublik Deutschland hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen verstoßen, dass sie bei der Genehmigung der Errichtung des Kohlekraftwerks Moorburg bei Hamburg (Deutschland) keine korrekte und vollständige Verträglichkeitsprüfung durchgeführt hat.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten.

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