Trotz Streckbetrieb-Option: Habeck lehnt Atomkraft wegen Sicherheitsrisiko ab
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) hat vergangenen Donnerstag die zweite Stufe des Notfallplans Gas, die sogenannte Alarmstufe, ausgerufen. Grund für die Ausrufung der Alarmstufe ist die seit dem 14. Juni 2022 bestehende Kürzung der Gaslieferungen aus Russland und das weiterhin hohe Preiseniveau am Gasmarkt.
Die Befüllung der Gasspeicher hat jetzt oberste Priorität. Neben alternativen Gas-Lieferungen, sollen Bürger und Unternehmen Gas sparen. Um den Gasverbrauch in der Stromerzeugung zu senken, wird die Bundesregierung, wie am 19. Juni angekündigt, zusätzliche Kohlekraftwerke aus der Bereitschaft abrufen. Dazu hat das BMWK bereits die Kraftwerksbetreiber angeschrieben und gebeten, die nötigen Schritte zu veranlassen.
FDP fordert Streckbetrieb der AKW, um über den Winter zu kommen
Angesichts dieser Situation fordert die FDP und viele andere, die letzten 3 deutschen Atomkraftwerke Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2 länger laufen zu lassen, um mehr Gas einzusparen und weniger klimaschädliche Kohle einsetzen zu müssen. Im Kern geht es dabei um eine Streckung des Betriebs der Kernkraftwerke über die Wintermonate, sodass dafür nicht extra Brennstäbe geordert werden müssten, deren Lieferung teils mehrere Monate benötigt.
Doch ist ein Streckbetrieb technisch überhaupt möglich? Und wie sicher ist es, die AKWs länger als geplant am Netz zu lassen? Robert Habeck hat sich dazu ausführlich auf Twitter geäußert und detailliert erklärt, warum die Bundesregierung nicht auf den Weiterbetrieb der deutschen Atomkraftwerke bei der Bewältigung der russischen Gaskrise setzt.
Tatsächlich sei ein Streckbetrieb der deutschen Atomkraftwerke möglich, so Habeck. Durch eine kontinuierliche Absenkung der Kühlmitteltemperatur und der Leistung oder durch Abschaltung der Atomkraftwerke im Sommer 2022 könnte der Betrieb der Atomkraftwerke mit den aktuell in den Kraftwerken befindlichen Brennelementen für eine gewisse Zeit von bis zu circa 80 Tagen fortgesetzt werden. Doch Kosten und Risiken seien sehr hoch, der Nutzen gering, stellt Habeck klar.
PV-Anlage im Rundum-Sorglos-Paket!
Konfiguriere jetzt online Deine eigene Solar-Anlage + erhalte in wenigen Minuten die besten Experten-Angebote aus Deiner Region!PV-Anlage online planen und kostenlos Angebote erhalten
Kurzfristiger Streckbetrieb würde Gasverbrauch sogar erhöhen
Auf Twitter erklärt Habeck ausführlich, warum ein Streckbetrieb möglich, aber ganz und gar nix bringen würde:
"Man kann überlegen, die drei am Netz befindlichen Meiler länger zu fahren. Um sie länger zu fahren, müsste man sie jetzt im Sommer in einen sogenannten Streckbetrieb bringen. Wir haben ja Brennelemente, die die radioaktive Reaktion auslösen. Es ist seit Jahren klar, dass die Genehmigung für das Abbrennen dieser Brennelemente ab dem 31.12.2022 erlischt. Daher haben die Betreiber die Kraftwerke so gefahren, dass die Brennelemente Ende diesen Jahres dann auch abgebrannt sind.
Wenn man diese jetzt bis März 2023 länger nutzen will, dann müsste man sie in diesem Jahr weniger stark abbrennen. Das nützt uns aber gar nix, weil wir ja jetzt sogar noch Kraftwerke reinnehmen, um Gas raus zu drängen aus dem Markt. Würden die Atomkraftwerke jetzt rausgehen, hätten wir eher einen größeren Bedarf an Gas. Das nützt uns also garnix", so Robert Habeck.
"Brennstäbe könnte man vielleicht noch rechtzeitig ordern"
"Die eigentlich relevante Frage ist: Sollten wir diese Atomkraftwerke nochmal für 5 Jahre am Netz lassen? Das kann man tun, man muss dann Brennelemente neu ordern. Das dauert in der Regel 18 Monate, geht aber vielleicht auch schneller und man schafft es noch rechtzeitig.
Aber dann taucht ein anderes Problem auf: Die Atomkraftwerke in Deutschland werden alle 10 Jahre tiefengewartet. So eine Wartung dauert Monate. Je nachdem wie schnell das geht und was die Prüfer finden, kann es sein, dass das Atomkraftwerk ein halbes oder dreiviertel Jahr nicht am Netz ist. Und ganz häufig finden die eben was und dann geben sie Auflagen zur Reparatur und sorgen dafür, dass die Kraftwerke dann immer zum Stand der Wissenschaft und Technik gefahren werden.
Die letzten Atomkraftwerke müssten ohne Tiefenprüfung weiterfahren
Wenn wir jetzt diese Kraftwerke länger beladen, dann müssten wir sie, da sie jetzt bereits nicht 10 Jahre, sondern 13 Jahre nicht tiefengeprüft werden, entweder für ein halbes Jahr oder noch länger vom Netz nehmen. Aber das ist genau das halbe bis ganze Jahr, um das es geht. Oder wir müssten riskieren, dass sie ohne Prüfung weiterfahren. Das könnte man entscheiden, wenn man die Gesetze ändert.
Nur ist das eine kluge Entscheidung in einer Situation, wo wir sehen, dass es Cyberangriffe auf Energieinfrastruktur gibt, auf Kraftwerke? Die werden versucht, zu hacken, mit teilweisem Erfolg. Also in einer Zeit, die risikoreich ist, akzeptieren wir den schlechtesten Sicherheitsstandard bei unseren Kraftwerken? Und nur, wenn man sagt, ja, dazu sind wir bereit, dann kann man die Atomfrage mit Ja beantworten.
Atomkraftwerke liefern nur sehr kleine Menge für sehr kurzen Zeitraum
Und da muss man dagegenhalten, was die Kraftwerke eigentlich bringen: Noch rund 5% der deutschen Stromproduktion wird durch nukleare Energie erzeugt. Diese 5% können wir auch anders ersetzen. Natürlich sind die Kraftwerke da und sie liefern stabile Energie, aber es ist doch eine sehr kleine Menge für einen kurzen Zeitraum, die wir sie brauchen.
Und für diesen kurzen Zeitraum und die kleine Menge wollen wir dieses Sicherheitsrisiko eingehen? Das ist die Frage, die wir uns stellen müssen. Ich habe sie gewogen und bin zu dem Schluss gekommen, dass das nicht verhältnismäßig ist“, so Habeck.
Auch AKW-Betreiber lehnen Laufzeiten-Verlängerung ab
Auch die Betreiber der Atomkraftwerke äußern sich eher skeptisch: So will EnBW im Zuge dieser Diskussion um die Laufzeiten-Verlängerung das AKW Neckarwestheim II wie geplant zum Jahresende abschalten. Es gebe die gesetzliche Vorgabe zum Ausstieg bis zum Jahresende und daran habe sich für den Betreiber nichts geändert, sagte ein Konzernsprecher dem Südwestrundfunk.
Auch RWE-Chef Krebber hält die Debatte über eine Laufzeitverlängerung der letzten AKW für nicht sinnvoll. Dem Spiegel sagte Krebber, dass man "nicht einfach von irgendwoher die benötigten Brennstäbe für die AKW" einkaufen könne. Zudem gehe es auch um die Frage der Sicherheit.