Eine Energiewende ist zwar in aller Munde, aber wer beginnt damit? Ostdeutschland könnte durch einen Ausbau erneuerbarer Energien und eine Verbesserung der Energieeffizienz zum Vorreiter einer Energiewende werden. So überwindet es möglicherweise Entwicklungsblockaden, die aus dem Modell "Nachbau West" erwachsen sind, und kann Startvorteile nutzen. Der Innovationsverbund Ostdeutschlandforschung und der Bereich Klima und Energie des Zentrums Technik und Gesellschaft (ZTG) an der TU Berlin haben diese These im Rahmen des kürzlich veröffentlichten Sammelbandes entwickelt. Er heißt "Neue Energie im Osten – Gestaltung des Umbruchs. Perspektiven für eine zukunftsfähige sozial-ökologische Energiewende" und richtet sich an Leserinnen und Leser im Handlungsfeld Energieversorgung an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Praxis.
Die Voraussetzungen für die Erzeugung von Windenergie, Biogas oder eine konkurrenzfähige Photovoltaik- oder (Offshore-)Windanlagen-Industrie sind in den neuen Bundesländern bereits sehr gut: Es gibt geeignete Flächen und vor allem aufgrund der Fördermöglichkeiten hat die Industrie gute Startbedingungen. Brandenburg wurde zum Spitzenreiter beim Ausbau erneuerbarer Energien gekürt; in Mecklenburg-Vorpommern wurde in den Koalitionsverhandlungen die Stärkung der Erneuerbare-Energien-Wirtschaft beschlossen.
Ausgangspunkt der Betrachtung ist die von Vertretern und Vertreterinnen der Ostdeutschlandforschung aufgestellte These, dass eine Energiewende und der Ausbau erneuerbarer Energien in Ostdeutschland die Chance eröffnen, sich vom Modell einer nachholenden Industrialisierung nach dem Muster des "Nachbaus West" zu lösen und die damit verbundenen Entwicklungsblockaden zu überwinden. In den Beiträgen des Buches wird aus Sicht verschiedener Wissenschaftsdisziplinen sowie der Praxis untersucht, ob und wie durch eine Energiewende ein sozial-ökologischer Pfadwechsel initiiert, die Bevölkerung beteiligt und zukunftsfähige, ressourcenschonende Wirtschaftsformen etabliert werden können.
"Ostdeutschland kann bei der erneuerbaren Energieproduktion, bei der Technologie, beim Aufbau von Wertschöpfungsketten, aber gerade auch bei Beteiligungsmodellen zum Vorreiter werden. Dafür braucht es aber eine starke politische Initiative auf kommunaler und Länderebene", so Dr. Benjamin Nölting, Mitherausgeber des Buches. In den Analysen wird nämlich deutlich, dass eine Energiewende, die den Bedingungen nachhaltiger Entwicklung genügt, mehr als der Austausch von Energieträgern und Technologien ist. Es handelt sich um einen tiefgreifenden ökonomischen, politischen und sozialen Reorganisationsprozess. Daher ist die Teilhabe der Bevölkerung an den politischen Strategien, an der Finanzierung und den Erlösen sowie an der Gestaltung von "Energielandschaften" entscheidend dafür, wie die Energiewende aussehen wird.