Wann wird die deutsche Strompreiszone aufgeteilt?
„Es ist auf Dauer nicht akzeptabel, sich wegzuducken und sich darauf zu verlassen, dass einige Bundesländer die Energiewende für das ganze Land schultern. Das ist ungerecht und unsolidarisch und führt am Ende dazu, dass die Akzeptanz der einheitlichen Strompreiszone in Deutschland schrumpft. Wer Behinderung des Netzausbaus und Blockaden insbesondere beim Ausbau der Windenergie nicht überwindet, schadet dem eigenen Wirtschaftsstandort“, sagte im März diesen Jahres Sachsens Energie- und Klimaschutzminister Wolfram Günther auf der ersten Konferenz der Energieministerinnen und -minister von Bund und Ländern (EnMK) in Merseburg.
Die Energieminister gehen damit ein seit Langem totgeschwiegenes Problem an: Denn die einheitliche Strompreiszone führt in der Netztechnik und im Kraftwerkspark immer wieder zu kritischen Betriebszuständen und ist vor allem dafür verantwortlich, dass die fossilen Anlagen im Redispatch hochgefahren werden müssen.
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Die „schlechtesten Schüler“ profitieren von den Klassenbesten
Ursächlich ist, dass bei hohem Windaufkommen auch der Strompreis in Süddeutschland sinkt, der Strom aber u.a. durch die Blockade des Netzausbaus durch Horst Seehofer und später Markus Söder gar nicht dort ankommen kann. Dann muss der zusätzliche Bedarf durch fossile Kraftwerke oder teuren Stromimport gedeckt werden.
Diese Mehrkosten durch den sogenannten Redispatch werden dann wieder von allen Stromverbrauchern getragen. So finanziert die Allgemeinheit ein System, das den „schlechtesten Schüler der Klasse“ immer wieder dafür belohnt, dass er seine Hausaufgaben eben nicht gemacht hat. Zudem müssen die Verbraucher in den Bundesländern, in denen der Netzausbau bereits stattgefunden, höhere Netzentgelte zahlen. Ein ungerechtes System.
Andere Länder haben erfolgreich Strompreiszonen eingeführt
Die einheitliche Strompreiszone setzt somit fortwährend Fehlanreize, führt zu höheren Preisen und gefährdet letztlich auch die Akzeptanz der Energiewende. Experten wie Professor Andreas Löschel von der Ruhr-Universität Bochum fordern daher seit Längerem, die einheitliche Strompreiszone aufzuteilen. Europäische Erfolgsbeispiele gibt es bereits: Italien hat ganze sieben Preiszonen, Norwegen hat sechs, Schweden vier und Dänemark zwei.
Außerhalb der EU gehen Länder wie Chile, Mexiko, Neuseeland, Singapur und die USA noch weiter. Sie berechnen lokale Strompreise, womit sich der Strompreis je nach Knoten im Stromnetz unterscheiden kann.
Dass eine Aufteilung funktioniert, hat das Beispiel Österreich bereits gezeigt, das im Oktober 2018 von der einheitlichen deutschen Strompreiszone abgetrennt wurde. Seither bildet Deutschland gemeinsam mit Luxemburg eine große Gebotszone.
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ACER sieht vier Aufteilungsoptionen für deutsche Strompreiszone
Die deutsche Gebotszone ist auf Grund ihrer Lage inmitten von Europa aber als kritisch für den grenzüberschreitenden europäischen Stromhandel anzusehen. Daher wird auf EU-Ebene aktuell geprüft, ob Deutschland in mehrere Strompreiszonen aufgeteilt werden sollte.
Die Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden, kurz ACER, hat für Deutschland und vier weitere europäische Mitgliedsstaaten neue Gebotszonen vorgeschlagen. Für Deutschland sieht ACER gleich vier Optionen, die von der Aufteilung in zwei Zonen, eine im Norden und eine im Süden Deutschlands, bis hin zu einer Teilung in fünf Zonen reichen.
Diese Aufteilung könnte dann dafür sorgen, dass die Strompreise in Süddeutschland steigen, während sie in Norddeutschland sinken. In Stunden, in denen viel Sonne scheint, könnte der Strompreis in Süddeutschland auch niedriger sein als im Norden, da im Süden Photovoltaik stärker ausgebaut ist.
ÜNB prüfen, welche Aufteilung der Preiszone sinnvoll ist
Die deutschen Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) TenneT, Amprion, 50Hertz und TransnetBW untersuchten im Auftrag der EU die möglichen Auswirkungen der von ACER vorgeschlagenen Gebotszonenaufteilungen. Während die Ergebnisse zunächst für August 2023 angekündigt wurden, so werden die Vorschläge der ÜNB zu alternativen Gebotszonenkonfigurationen nun im Frühjahr 2024 erwartet. Die ÜNB werden dann der EU-Agentur ACER einen Bericht mit Vorschlägen für eine mögliche Aufteilung der Preiszone vorlegen.
Bis 30. Juni 2025 kann die deutsche Bundesregierung entweder einer solchen Aufteilung zustimmen oder die anderen betroffenen EU-Mitgliedsstaaten davon überzeugen, die Aufteilung ebenfalls abzulehnen. Widerstand ist von Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Saarland, Hessen und Nordrhein-Westfalen zu erwarten, während die norddeutschen Flächenländer wie Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern oder auch Sachsen eine Aufteilung befürworten.
Der Bundesverband Erneuerbare Energie e.V. erwartet hingegen negative Effekte für den Ausbau Erneuerbarer Energien: Eine Abkehr von der einheitlichen deutsch-luxemburgischen Strompreiszone könne demnach bei sehr unterschiedlicher Einspeisung aus Erneuerbaren Energien zu erheblichen Preisdifferenzen führen. Preisunsicherheiten, so BEE-Geschäftsführer Wolfram Axthelm, gefährden aber die betriebswirtschaftliche Grundlage der Erneuerbaren Energien somit die Energiewende. Er plädiert daher für eine ausschließliche Netzentgeltreform, um die Kosten der erforderlichen Investitionen zum Netzausbau gerechter als bisher zu verteilen.
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„Aufteilung in eine Nord- und eine Südzone ist die wahrscheinlichste Option“
Nach Einführung getrennter Preiszonen würden sich unterschiedliche Großhandelsstrompreise einstellen, mit der Folge, dass eine Megawattstunde im Jahr 2030 im Süden fünf Euro mehr kosten würde als im Norden; bis 2045 würde dieser Preisunterschied auf neun Euro ansteigen. Zu diesem Ergebnis kommen jetzt die Analysten von Aurora Energy Research in einer im September erschienenen Studie zu den Auswirkungen eines Preiszonensplits.
Nicolas Leicht, Energiemarktexperte von Aurora Energy Research. „Sollte eine Gebotszonenteilung angestrebt werden, so scheint eine Aufteilung in eine Nord- und eine Südzone die wahrscheinlichste Option.“
Die Auswirkungen fasst Aurora Energy Research wie folgt zusammen:
- Bei Teilung der gesamtdeutschen Stromgebotszone in Nord und Süd wäre der Großhandelsstrompreis im Süden um fünf (2030) bzw. neun (2045) Euro pro Megawattstunde höher als im Norden; verzögerter Netzausbau könnte die Differenz mehr als verdoppeln
- Würden Elektrolyseure vor allem im Norden angesiedelt, fällt der Preisunterschied 2045 mit sechs Euro pro Megawattstunde geringer aus; gleichzeitig kann hier durch den hohen Erneuerbarenanteil sofort mit Netzstrom grüner Wasserstoff hergestellt werden
- Die energieintensive Industrie in der Südzone müsste 2030 mit drei bis sieben Prozent höheren Strompreisen im Vergleich zur Einheitspreiszone rechnen
„Am meisten profitieren von einem Preiszonensplit die flexiblen Verbraucher, wie etwa Elektrolyseure im Norden, da die Preise dort nicht nur durchschnittlich niedriger wären, sondern auch häufiger Niedrigpreisstunden auftreten würden“, sagt Claudia Günther, Leiterin des deutschen Forschungsteams von Aurora Energy Research.
„Da in der Nordzone zudem der Anteil der Erneuerbaren am Strommix sehr hoch wäre, könnten Elektrolyseure viel früher mit Netzstrom grünen Wasserstoff erzeugen als es als bei einer einheitlichen Strompreiszone möglich wäre. Dadurch würde sich auch die Wettbewerbsfähigkeit dieses grünen Wasserstoffs um bis zu einem Drittel erhöhen. Wird die innerdeutsche Pipelineinfrastruktur entsprechend schnell ausgebaut, profitieren davon auch industrielle Verbraucher im Süden.“
Die Stromkunden würden die Folgen des Preiszonensplits unterschiedlich spüren: Für private Haushalte wäre der Effekt vernachlässigbar. Stärker treffen würde es dagegen die energieintensive Industrie im Süden, die im Vergleich zur aktuellen einheitlichen Preiszone mit um drei bis sieben Prozent höheren Strompreisen rechnen müsste und damit im internationalen Wettbewerb schlechter gestellt würde.
Im Vergleich zu den Strompreisen im Norden würde das Mehrkosten in Höhe von 400 Millionen Euro pro Jahr bedeuten. Der Preiszonensplit könnte zudem für industrielle Stromverbraucher den Stromeinkauf schwieriger machen: Terminmärkte in kleineren Preiszonen sind weniger liquide, außerdem ist der Abschluss von PPAs über Zonengrenzen hinweg komplexer.
Für Studienautor Leicht ist eines dennoch klar: „Um die Akzeptanz der Energiewende und das Tempo des Umbaus der Energiesysteme marktbasiert zu erhöhen, brauchen wir regionale und lokale Preissignale. Wie unsere Berechnungen zeigen, würde die Aufteilung der deutschen Preiszone diese Preissignale bewirken. Sie ist aber nur einer von verschiedenen gangbaren Wegen.“