Gasmangel im Winter immer wahrscheinlicher: Deutschland muss jetzt Gas sparen!
EU Notfall-Plan Gas: Deutschland soll jetzt 15% Gas sparen – freiwillig?
Um der Gefahr einer vollständigen Einstellung der Gaslieferungen durch Putin entgegenzutreten, ist heute der europäische Gas-Notfallplan in Kraft getreten. Aufbauend auf den Kommissionsvorschlag „Gas sparen für einen sicheren Winter" soll nun in der gesamten EU der Gasverbrauch freiwillig um 15% gesenkt werden, verglichen mit dem Durchschnittsverbrauch der vergangenen fünf Jahre. Dies entspricht laut EU-Kommission rund 45 Milliarden Kubikmeter Gas.
Entsprechend des EU Notfall-Plans Gas, der vom 1. August 2022 bis zum 31. März 2023 gilt, müsse Deutschland demnach rund 10 Milliarden Kubikmeter Gas einsparen, um das 15%-Ziel zu erreichen. Ausnahmen gibt es bislang für Italien und Spanien.
Um die Einsparziele zu erreichen, müssen die EU-Mitgliedstaaten bis Ende September ihre bestehenden nationalen Notfallpläne aktualisieren und darin Maßnahmen zur Nachfragesenkung wie z. B. den Umstieg auf andere Brennstoffe in der Industrie und der Energiewirtschaft sowie die Begrenzung der Temperatur in öffentlichen Gebäuden aufnehmen, durch die sie das Ziel erreichen wollen.
Ist dies nicht ausreichend, gibt es darüber hinaus die Möglichkeit, eine EU-Alarmstufe auszurufen, die eine obligatorische Senkung des Gasverbrauchs in allen Mitgliedstaaten auslöst. Hierfür wäre allerdings die Zustimmung von mindestens 15 EU-Ländern, die zusammen mindestens 65% der Gesamtbevölkerung der Union ausmachen, vonnöten.
Bundesnetzagentur: Anfang Dezember könnte Deutschland das Gas ausgehen
Unterdessen hat Gazprom angekündigt, die Gaslieferungen nach Europa über Nord Stream 1 ohne triftigen technischen Grund weiter zu verringern. Die Gasversorgung in Deutschland ist laut der "aktuellen Lage der Gasversorgung in Deutschland" der Bundesnetzagentur im Moment aber stabil: "Die Versorgungssicherheit in Deutschland ist derzeit weiter gewährleistet."
Die Bundesnetzagentur schätzt die zukünftige Lage der Gasversorgung in Deutschland jedoch als sehr ungewiss ein und rechnet daher mit drei unterschiedlichen Szenarien:
Variante 1: Es fließt kein russisches Gas mehr durch die Nord Stream 1-Pipeline
Die Folge dieses Worst Case-Szenarios wäre, dass eventuell schon Anfang Dezember die Gasspeicher leer sind. Ohne entsprechende Maßnahmen kann es laut Bundesnetzagentur ab November 2022 für den gesamten Winter zu einer Gasmangellage in Höhe von ca. 366 TWh kommen. Dass entspricht ca. 1/3 des gesamten Jahresbedarf an Gas. Neben einer Verbrauchsreduktion von 20% sind weitere Maßnahmen (wie z.B. zusätzliche Importkapazitäten) notwendig, um eine Gasmangellage im nächsten Winter zu verhindern.

Variante 2: Die russischen Gasimporte liegen wie derzeit bei etwa 20% der Maximalleistung
Liefert Russland weiterhin nur Gas mit 20% der Leistung der NS 1-Pipeline, käme es auch dann im schlimmsten Fall bereits Ende Dezember zu einem akuten Gasmangel. "Ohne entsprechende Maßnahmen kann es ab November 2022 für den gesamten Winter zu einer Gasmangellage in Höhe von ca. 248 TWh kommen," so die Bundesnetzagentur. Bei einer Anpassung der Exporte auf -20% wäre eine Verbrauchsreduktion von mindestens 20% notwendig, um die Gasversorgung für den kommenden Winter - aber nicht automatisch auch für den Winter 23/24 - zu sichern.

Variante 3: Russland liefert über Nord Stream 1 mit 40% Leistung Erdgas
Ohne entsprechende Maßnahmen kann es ab Dezember 2022 für den gesamten Winter zu einer Gasmangellage in Höhe von ca. 144 TWh kommen. Dann könnte es Ende Januar zu leeren Gasspeichern kommen. Bei einer Anpassung der Exporte auf -20% wäre eine Verbrauchsreduktion von 20% ausreichend, um die Gasversorgung sowohl für diesen als auch für den nächsten Winter zu sichern.

Das Fazit der Bundesnetzagentur fällt durchaus beunruhigend aus:
- Eine Gasmangellage kann nur durch deutliche Gaseinsparungen, ausreichende Gaseinspeicherungen und zusätzliche Gaslieferungen verhindert werden.
- In Szenarien, in denen Juni bis Juli 2023 keine Gasmangellage auftritt, sind die Speicherfüllstände im Sommer 2023 teils besonders niedrig. Die Versorgungssicherheit für den Winter 2023/24 wird dadurch eine Herausforderung.
- In keinem der betrachteten Szenarien werden sämtliche Speicherfüllstände erreicht. Fällt die Versorgung durch Nord Stream 1 komplett aus, wird keiner der vorgegebenen Speicherfüllstände erreicht.
Gaspreise: Auch Stadtwerke mit langfristigen Verträgen müssen nun erhöhen
Durch die absichtliche Verknappung der Energielieferungen seitens Russlands steigen auch die Gaspreise weiter an. "Die Großhandelspreise liegen in Folge der erneuten Lieferreduzierung weiterhin auf sehr hohem Niveau. Unternehmen und private Verbraucher müssen sich auf deutlich steigende Gaspreise einstellen", so die Bundesnetzagentur.
Viele Gasversorger haben die Preise bereits angehoben oder dies angekündigt. Auch Stadtwerke, die große Energiemengen für ihre Kunden bereits vor längerer Zeit im Voraus eingekauft haben, geben nun die extrem hohen Marktpreise an Haushalte weiter. Zahlte eine Familie mit einem Gasverbrauch von 20.000 kWh im August 2021 noch 1.258 Euro im Jahr, sind es laut Verivox aktuell durchschnittlich 3.568 Euro – ein Anstieg um 184 Prozent.
"Einen Gaspreis von fast 18 Cent pro Kilowattstunde für Haushalte gab es in Deutschland noch nie. Der Preis wird jedoch noch deutlich höher steigen, denn die Großhandelspreise für Gas liegen derzeit deutlich über diesem Niveau", sagt Thorsten Storck, Energieexperte bei Verivox.
Im Zuge der staatlichen Stützungsmaßnahmen der großen Gasimporteure wie zum Beispiel Uniper wird zudem zum 1. Oktober eine weitere Umlage auf den Gaspreis eingeführt mit dem Ziel, die durch die Gasknappheit entstehenden Mehrkosten solidarisch auf alle Gaskunden zu verteilen. Durch die Gasumlage werden die Gasverbraucher nochmals zusätzlich mit 1,5 Cent/kWh und 5 Cent/kWh (netto) belastet. Ab 1. Januar 2023 wird außerdem die nächste Stufe der CO2-Bepreisung wirksam, was wiederum den Gaspreis verteuert.
Für eine Familie mit einem Jahresverbrauch von 20.000 kWh bedeutet das unter Berücksichtigung der Mehrwertsteuer Mehrkosten zwischen 357 und 1.190 Euro. Die jährlichen Gesamtkosten für einen Musterhaushalt mit 20.000 kWh Gasverbrauch im Jahr lägen laut Verivox dann bei bis zu 4.758 Euro, was einer Preissteigerung von 278 Prozent entspräche – damit hätten sich die Preise im Vergleich zum August 2021 sogar fast vervierfacht.
Stefan Dohler, EWE-Vorstandsvorsitzender, betonte, dass er die erneuten Preisanhebungen außerordentlich bedauere, dass EWE aber gezwungen sei, die preislichen Mehrbelastungen in Form einer weiteren Strom- und Gaspreisanhebung an seine Kunden weiterzugeben. "In dem Zusammenhang empfehle ich allen betroffenen Kunden dringend, ihren Abschlagsbetrag zu erhöhen, um dadurch eine Nachzahlung in der nächsten Rechnung zu vermeiden", so Dohler.
Viele Stadtwerke gehen daher nicht davon aus, dass die Energiepreise mittelfristig wieder das Niveau vor dem Ukraine-Krieg erreichen. Stattdessen ist für die kommenden Jahre mit einem dauerhaft hohen Energiepreisniveau zu rechnen.